Persönlichkeitsstörungen


Unter dieser Bezeichnung verstehen wir eine ausgeprägte Bereitschaft, auf Situationen – Begegnungen, Aufgaben, Schwierigkeiten, Konflikte – vorwiegend auf die immer gleiche Weise zu reagieren: mit lähmender Unsicherheit und ängstlichem Rückzug, mit Festhalten an Prinzipien und Ritualen, mit Kränkung oder Betonen der eigenen Überlegenheit. mit Leugnen, Impulsivität oder mit dem Gefühl, angegriffen und verfolgt zu werden.

Solche Bereitschaften werden ganz automatisch wirksam. Sie haben sich in der Kindheit unter grossem und anhaltendem Druck entwickelt. Die entsprechenden Reaktionen sind übermässig gut eingeübt, weil sie für das Kind die beste – oder die vermeintlich beste – Überlebensstrategie bedeuteten. Beim Erwachsenen laufen sie dann automatisch und oft von ihm selbst gar nicht bemerkt ab, auch wenn sie in der Gegenwart und unter völlig veränderten Lebensbedingungen ganz unzweckmässig und eigentlich schädlich sind.

In der Klärungsphase geht es darum, zu erkunden, welche starken und anhaltenden Einflüsse – Nichtbeachtung, Überforderung, Verwöhnung (!), Gewalt, emotionaler und physischer Missbrauch – damals auf das Kind nachhaltig einwirkten und welches Selbst- und Weltbild dieses Kind aus diesen Bedingungen ableitete und welche Strategien es entwickelte – Auftrumpfen, Anpassen, Rebellieren, Streben nach Perfektion, Gewaltausbrüche, Erfinden von Schleichwege – das Kind damals unter diesem Druck und mit seinen noch schwachen Kräften  und Kenntnissen entwickelte, um in dieser schwierigen Welt bestehen zu können.

In der Phase der Neuorientierung geht es zunächst vor allem darum, das Selbst- und Weltbild des betroffenen Menschen zur Realität im Hier und Jetzt in Beziehung zu setzen. Meist ist diese Realität eine sehr viel bessere als die frühere, weil der Erwachsene nicht mehr der Übermacht der Autoritäten und der physisch stärkeren ausgeliefert ist, weil er Wahlmöglichkeiten hat und weil er Potentiale entfalten kann, die er in sich trägt, oft ohne davon zu wissen. Das Erkunden von Wünschen und die Neuausrichtung an selbstgewählten Zielen gibt diesem Prozess Richtung und Sinn. Es tut sich eine neue Perspektive auf, für die eine grosse Anstrengung sich lohnt.

Die Veränderungsphase verlangt von den beiden Partnern der therapeutischen Beziehung Geduld und Beharrlichkeit. Weil die angelernten, schematischen Reaktionsbereitschaften so automatisch ablaufen, ist es nicht leicht, sie zu verändern. Meist ist anfänglich die unzweckmässige, vergangenheitsbezogene Reaktion schon geschehen, bevor sich der Handelnde ihrer bewusst wird. Menschen können aber lernen, kritische Situationen als Signal aufzufassen, das ihnen bedeutet: „Jetzt musst und kannst du denken, Dir überlegen, was du willst und welches in dieser Situation deine Möglichkeiten sind.“ Das immer zuverlässigere Gewinnen eines Augeblicks der Überlegung ist die entscheidende Voraussetzung für weitergehende Veränderungen. Weitere Schritte auf dem Weg zu grösserer Beweglichkeit und Entscheidungsfreiheit können im Aufbau von neuen, bisher vernachlässigten Verhaltensmöglichkeiten liegen, etwa im Bereich von Selbstbehauptung und sozialer Kompetenz..

Persönlichkeitsstörungen bilden oft den Grund, auf dem andere psychische Störungen und Schwierigkeiten, etwa Essstörungen, Beziehungsprobleme, depressive Entwicklungen entstehen. Das macht sie besonders behandlungsbedürftig